Die grosse Erschöpfung

Leitung: Dr. med. Thomas Cotar, Zürich

Hinter- und Abgründe chronischer Erschöpfungssyndrome

"Erschöpfung ist das Zentralafrika der Medizin, ein unerforschtes Gebiet, welches nur von wenigen betreten wird und die Wenigen, die es überleben und es schaffen, Informationen herauszubringen, werden entweder nicht verstanden oder nicht geschätzt." (Georg Beard, 1869)

Chronische Erschöpfung ist ein häufiges Phänomen, wenn auch nicht mehr so unerforscht, wie noch vor fast 150 Jahren. Die damals von Georg Beard beschriebene Neurasthenie galt in Bezug auf ihre Ursache als nicht objektivierbar. Vielmehr wurde ein Energiemangel des Nervensystems angenommen, der als Folge von Überarbeitung und eines ungesunden "moernen Lebenswandels" der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angesehen wurde.

Später war Freud der Meinung, dass die Symptome der Neurasthenie - im Unterschied etwa zur Hysterie, die vordergründig ebenfalls körperlich in Erscheinung tritt - "durchaus körperliche Vorgänge" seien, ohne Sinn und Bedeutung. Einige Nachfolger Freuds waren hingegen der Ansicht, unbewusste Konflikte als Ursache der Neurasthenie nachweisen zu können.

In neuerer Zeit wurde wieder vermehrt nach körperlichen Ursachen geforscht und das sog. "Chronic Fatigue Syndrome" (CFS) als Krankheitskonzept der "modernen Zeit" entwickelt. In der Öffentlichkeit entstand das Bild der "yuppie flu".

Dennoch bleibt ein Verständnis chronischer Erschöpfungszustände bis heute oft merkwürdig gering und v.a. einseitig. Während Hausärzte und Internisten Patienten zum Psychiater oder Psychologen schicken, weil den Erschöpften körperlich nichts fehle, überweisen sie jene wieder dem Hausarzt, weil die körperlichen Symptome so stark in Erscheinung treten, dass eine körperliche Ursache vorliegen müsse. Zu allem fühlen sich die Patienten in der Psychotherapie oft ohnehin am falschen Ort und unverstanden. Der Rückgriff auf einen bio-psychosozialen Denkansatz scheint in dieser verfahrenen Situation Hilfe zu bieten, weist aber auch einige gravierende Schwachstellen auf. Ein Dilemma ohne Ausweg also?

Bietet die Daseinsanalyse hier eine Hilfestellung? Und wenn ja, welche?

Im Tagesseminar werden wir uns anhand von Falleispielen und theoretischen Texten mit den Schwierigkeiten von Diagnose und Therapie bei Patienten mit Neurasthenie auseinandersetzen. Darüber hinaus wird untersucht, welchen Gewinn für die Behandlung das so gewonnene Leidensverständnis bietet.

Anmeldung: tcotar@gmx.ch

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